Texte

Publikationen
«Kultur am Bodensee»
Ambivalenz als Inspiration –
Die Künstlerin Annetta Grisard
März / April 2011

«Fire Sites – Annetta Grisard»
Ausstellungskatalog 2011

Ausstellungen
Dr. Ulf Küster, Kurator der Fondation Beyeler
Zur Ausstellung «Die Schärfe der Unschärfe»
in der Licht Feld Gallery, 2021

Immer wieder überraschend – die Vielseitigkeit der Werke von Annetta Grisard.


Vor kurzem durfte ich wieder einmal Annetta Grisard in ihrem schönen Atelier mit Blick auf den Rheinhafen besuchen, in diesem herrlichen, lichtdurchfluteten Raum. Und wieder – wie auch schon bei früheren Besuchen, war meine Überraschung gross: Neue Ideen zeigten sich mir, neue Experimente, neue Werke – als ob es keinen künstlerischen Stillstand gibt. Das ist wirklich beeindruckend.


Annetta Grisards neue Ausstellung in der Lichtfeld Galerie und Gallery Downstairs in Basel veranschaulicht viele Aspekte ihres Werkes seit 2011, mit einem Schwerpunkt auf Bildern aus den letzten Jahren. Als Betrachter kann man die erwähnte künstlerische Vielseitigkeit und Entwicklung sehr schön verfolgen. Die frühesten Bilder der Ausstellung stammen aus jener Zeit, in der auch ich mich zum ersten Mal mit den Werken von Annetta Grisard auseinandersetzte. Die Bilder aus dieser Zeit sind grossformatige, gestisch gemalte, intensiv farbige oder auch monochrome Kompositionen. Ein schönes Beispiel aus dieser Zeit ist «Perpetuum Mobile» von 2012, wo die – dem Titel nach immer wiederkehrenden – Rundungen der grosszügigen Pinselschwünge mit geschütteter und gespritzter Farbe kontrastieren. Man sieht den Einfluss gestischer Malerei und Informel und die Anregungen durch Hermann Nitsch, einem frühen Mentor der Künstlerin.


Diese wild scheinenden Bilder der früheren Zeit überraschten nicht nur mich, begegnet man schliesslich in Annetta Grisard einer Grande Dame, die man als eine aussergewöhnlich engagierte und vielfältig interessierte Förderin von Kunst und Kultur kennt. Doch welch explosive, schöpferische Energie steckt dahinter! Wie immer zeigt das Aussen nur einen Teil einer Persönlichkeit. Und noch immer erfüllt mich diese Offenheit und Ehrlichkeit, die Annetta Grisards Kunst zum Ausdruckt bringt, mit Bewunderung. In ihrem Werk Emotionen sichtbar machen zu können, die Neugierde zu haben, sich auf sich selbst einzulassen, sich neuen Ideen zu öffnen, das sind Eigenschaften, die Grisard in hohem Masse besitzt.


Seit einigen Jahren stellt ein anderer Schwerpunkt ihrer Arbeit die Photographie dar. Die Auseinandersetzung mit dem zufälligen Augenblick in Nah- oder Fernsicht, der durch eine Photographie erfasst wird, steht in den Bildern Grisards oft nicht allein. Den Moment verfremdet sie durch Übermalung, als ob die Geste des Farbauftrags den Augenblick der Photographie verlängern würde. Ihr Bild «Schöne Blaue Donau» beispielsweise, dem ein photographischer Eindruck zugrunde liegt, der auf einer Donaureise entstanden ist, ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie ein wenig spektakulärer Blick durch malerische Verfremdung im wahrsten Sinne des Wortes ins Fliessen kommt. Hier ergibt sich eine schöne Entsprechung mit dem Bild des sich stetig bewegenden Flusses.


Eine andere Methode der Verfremdung von Photographie zeigt Grisard in einer Serie, die sie «Schärfe der Unschärfe» genannt hat: Hier werden «scharfe» Photographien von Motiven, die nicht immer auf den ersten Blick erkennbar sind, mit unscharfen Ausschnitten dieser Photographien kombiniert. Auch hier geht es um das Verarbeiten und die Infragestellung der Photographie, und es geht um Konventionen des Sehens: die Unschärfe verfremdet das, was wir «Baum» erkennen, um nur ein Beispiel zu nennen. Ebenso eindrucksvoll ihre Experimente mit extremer Nahsicht: Eine Photographie von Müll, die durch Übermalung zu einem abstrakten Bild zu werden scheint («Recycling», 2020). Und in einer weiteren übermalten Photographie («Flaschen und Strand», 2018) sind auf dem Bild eines malerisch verfremdeten Strandes Petflaschen angebracht, was das Bild zu einem unkonventionellen Relief macht. Deutlich wird hier, dass die Bilder von Grisard durchaus auch eine kritische Botschaft haben und beispielsweise auf das Müllproblem unserer Gesellschaft hinweisen.


Ganz neu im Werk von Annetta Grisard ist eine Gruppe von Bildern, die den Titel «Wachstum» trägt. Es sind Zeichnungen mit Tusche, die Spuren von Handbewegungen zeigen – organische Formen, als handle es sich um weiterentwickelte Schriftzeichen. Das Besondere dieser Werkgruppe ist die Kombination der Tuschezeichnung mit gebogenen LED-Stäben, die durch ihre Biegung den Schwung der Zeichnung aufnehmen und dadurch in eine Resonanz mit der Zeichnung treten, diese durch ihre Leuchtkraft aber zugleich auch kontrastieren. Sie beleuchten nur einen Teil des Blattes; der andere Teil wird im Schatten gelassen. Die Form der Stäbe erinnert an die spontane Geste der Malerei, und ihr Leuchten macht in subtiler Weise deutlich, dass Malerei immer auch die Reflektion von Licht in unterschiedlicher Intensität ist. Diese Bilder sagen viel über das Wesen der Malerei: Malerei bildet immer – in unterschiedlicher Intensität – eine Bewegung ab, ist Wiedergabe von Licht und existiert nicht ohne die sie betrachtenden Menschen, die sie in einem sehr persönlichen Prozess reflektiert.

Dr. Ulf Küster, Kurator der Fondation Beyeler
Zur Ausstellung «Fire Sites» im Kunst Raum Riehen 2011. Feuer ist das grosse Thema: In ihren aktuellen Arbeiten widmet sich Annetta Grisard der Faszination, die von einem der vier Ur-Elemente ausgeht. Das Negative, das Zerstörerische wird ebenso behandelt…

Feuer ist das grosse Thema: In ihren aktuellen Arbeiten widmet sich Annetta Grisard der Faszination, die von einem der vier Ur-Elemente ausgeht. Das Negative, das Zerstörerische wird ebenso behandelt wie das Positive, die Energie (im weitesten Sinne), die Feuer bedeutet.


Annetta Grisard wagt damit Entwicklung: Bisher hat sie gestische Bilder gemalt, Abstraktionen, die zwar Assoziationen auslösen können und vielleicht auch sollen, aber dennoch ungegenständlich sind, die allein Farbe und Bewegung zeigen. Seit einiger Zeit sind Grisards Bilder erzählerischer, gegenständlicher, ja sogar sozialkritisch geworden. Das hat mit der Entdeckung neuer Materialien zu tun, die wiederum ihre globalen Interessen widerspiegeln. Annetta Grisard ist eine leidenschaftliche Fotografin und Dokumentaristin ihrer weiten Reisen. Beispielsweise interessiert sie das eine regelmässige Struktur vorgebende Wellblech, das vor allem in Afrika eines der am weitest verbreiteten Baumaterialien ist und von ihr oft als Bildträger verwendet wird. Zunehmend sind vor allem Fotos zur Grundlage ihrer malerischen Bilderkundungen geworden, im übertragenen wie im Wortsinne, wobei sie gerne mit neu entwickelten Technologien experimentiert, mit dem Einsatz von LED-Technik beispielsweise oder mit den vielfältigen Methoden der Verfremdung von Fotografien am Computer.


Allerdings musste Annetta Grisard nicht weit reisen, um Anregungen für ihr Feuer-Projekt zu bekommen, das sie mit ihrer Ausstellung im Kunst Raum Riehen dokumentiert. Unbefangene Besucher von Riehen, diesem beschaulichen Vorposten der Schweiz in Europa, sind vom dörflichen Charakter des Ortes beeindruckt: Da gibt es die Kirchenburg, manch altes Gebäude, darunter das Haus des legendären Bürgermeisters Wettstein, des geschickten Unterhändlers der Schweiz beim Westfälischen Frieden 1648 in Münster, im Sommer fliegen die Störche am Himmel, und nicht zuletzt gibt es in Riehen wirklich gute Kunst. Was man auf den ersten Blick nicht wahrnimmt ist, dass Riehen mit etwa 23 000 Einwohnern die nach Basel zweitgrösste Stadt der Nordwestschweiz ist und dass es dort durchaus so etwas gibt wie sozialen Zündstoff, der ein gewisses Gegengewicht bildet zum Idyllischen, das unzweifelhaft vorhanden ist und auch den Autor dieser Zeilen bewogen hat, nach Riehen zu ziehen. Dass leider nicht alles völlig wunderbar ist, merkt man, wenn man wieder einmal Löschzüge der Basler und Riehener Feuerwehr durch den Ort fahren sieht (und hört), um schon wieder ein Feuer, ist es das zwanzigste, dreissigste, fünfzigste?, zu löschen, das der mittlerweile berüchtigte Riehener Feuerteufel gelegt hat. Dass es noch immer nicht gelungen ist, ihn zu fassen, macht ratlos, wirft aber auch ein Licht auf die kriminelle Energie, die da am Werke ist. Aber: Er (oder sie, wer weiss) ist ein Produkt unserer Zeit und Gesellschaft. Annetta Grisard hat die Orte der Feueranschläge aufgesucht, sie fotografiert und die Bilder digital verfremdet. Einerseits wird so deren Unscheinbarkeit (Tiefgaragen oder Gartenhäuser beispielsweise) deutlich, andererseits wird die zerstörerische Kraft des Feuers klar, das in die Normalität einbricht.


Die Gewalt des Feuers wird bei Annetta Grisard auch malerisch dargestellt, indem sie Feuer-Farberuptionen, die in ihrer Machart der Tradition gestischer Malerei verpflichtet sind, auf Fotografien aufträgt, die auf grosse Leinwände reproduziert wurden: Malerei als Mittel zur Darstellung von unkontrollierbar elementarer Kraft. Die Fotografien, die Grundlage dieser Feuervisionen sind, entstanden auf Reisen oder in unmittelbarer Nähe ihres Ateliers, das sich in Nachbarschaft zum Basler Rheinhafen befindet. Der schockierende Eindruck eines ausgebrannten Autos, eines Objektes also, das Feuer benötigt, um überhaupt zu funktionieren, das aber in kürzester Zeit zerstört ist, wenn es ausser Kontrolle gerät, ist eine deutliche Erinnerung daran, dass wohl stimmt, was Shakespeares Macbeth-Hexen in Theodor Fontanes technikkritischer Ballade ‹Die Brück’ am Tay› sagen: «Tand, Tand, ist das Gebilde von Menschenhand».


Während das Parterre im Gebäude des Kunst Raumes Riehen (eigentlich sind es ja Kunsträume!) der zerstörerisch-unkontrollierten Kraft des Feuers gewidmet ist, geht es im zweiten Stock eher darum, dass Feuer im Zusammenhang mit dem Menschen vor allem Wärme bedeutet, dies ganz konkret als Energiespender, aber auch im übertragenen, magischen Sinne. In ihren fotografischen Arbeiten, die digital und durch LED-Technik bearbeitet worden sind, zeigt Annetta Grisard zum Beispiel auch Feuer als eine Art magisches Zeichen, im Sinne volkstümlicher Traditionen, um den Winter zu verbrennen und dem Frühjahr, dem Neuanfang, Platz zu schaffen. Feuer bedeutet zwar Zerstörung, aber es bedeutet in der Konsequenz immer auch Neuanfang und Regeneration, auch wenn dies im Leben der Menschen meist schmerzliche Prozesse sind. Die Antike erfand für dieses Phänomen ein Bild, das im Sprichwort heute noch weiterlebt: Ein mythischer Vogel, der am Ende eines langen Lebens verbrennt und in seiner Asche ein Ei zurücklässt, aus dem er verjüngt wieder schlüpft. Der berühmte Phönix ist gemeint, und dem ‹Phönix aus der Asche› ist das obere Stockwerk von Annetta Grisards Ausstellungsinstallation gewidmet.

Kiki Seiler-Michalitsi, Kunsthistorikerin / Kuratorin
«Brennende Bilder – Abstraktion und Anschauung» Nachdem sich in den 1990er Jahren ein Interesse für Fotografie, später für Video- und Netzkunst, und in den 2000er Jahren, trotz gleichzeitigen Stilpluralismen, ein Trend zur figurativen Malerei feststellen liess, zeichnet sich nun erneut eine Tendenz zur Abstraktion quer durch alle Medien ab…

Nachdem sich in den 1990er Jahren ein Interesse für Fotografie, später für Video- und Netzkunst, und in den 2000er Jahren, trotz gleichzeitigen Stilpluralismen, ein Trend zur figurativen Malerei feststellen liess, zeichnet sich nun erneut eine Tendenz zur Abstraktion quer durch alle Medien ab, von Einzelkünstlern jenseits trendiger Kunstströmungen und verdächtigem Zeitgeist mit bemerkenswerter Beharrlichkeit verfolgt und zu neuen Aufbrüchen verholfen – die abstrakte Komposition ist sogar zum Inbegriff für Malerei geworden. Heute bedienen sich zudem viele Künstler gleichzeitig sowohl der Abstraktion wie auch der Figuration bzw. vermischen diese, frei von programmatisch geprägten Ideologien abstrakter Vorkämpfer. Die neue Abstraktion ist inhaltlich ungebunden, breit gefächert, von mannigfaltiger Ästhetik. Sie ist gleichermassen Ausdruck individueller Haltung, wie auch Weiterführung und Transformation historischer abstrakter Produktionen und historischer Bezüge, ein vielfältig inspiriertes Sampling.


2007 trat Annetta Grisard mit grossformatigen, gestischen Bildwerken, die mit ihrer dynamischexplosiven Bildschrift jenseits geschlossener Formelemente überraschten, zum ersten Mal mit einer Ausstellung an die Öffentlichkeit. In Action Painting-Ästhetik gemalt, erinnerten diese an die virulente, formlose Kunst der 1950/60er Jahre, an die klassische Hoch-Zeit der die Freiheit und Befreiung zugleich verkörpernden «Grand Geste» in der Malerei der Nachkriegszeit, jener Malerei, die mehr eine Attitüde als einen Stil beschreibt und als «heroische Abstraktion» zur «abstrakten Nachkriegsinternationalen» avancierte. Die Bildwerke von Annetta Grisard zeugten zugleich von einem souveränen Umgang der Künstlerin mit malerischer Tradition, Farbe und Leinwand.


Mit wild geführtem Pinsel, heftigen, ausfransenden Pinselhieben, Spachtel, Schwamm und aller Arten von Bürsten, mit Zufall und Kalkül entstehen heute noch furios gespritzte oder gespachtelte Bildgestaltungen, ungebremste, stürmische Farbbahnen und von Energie strotzende Kurvaturen, Farbschlieren, individuelle Farbrinnen und Farbspritzer, Schmelzflüsse, die sich einen Weg bahnen, auf hellem oder dunklem Grund, in unterschiedlichen Bildstimmungen. Es entstehen fulminante Farberuptionen, rhythmische, wohlorganisierte, meist flach gemalte und dennoch räumlich wirkende Bildkompositionen, dichte oder offene Farbräume und All-over-Strukturen, die den Malakt und die Zeit ihres Entstehens erahnen lassen – gestische Malerei, die zum körperlichen Akt, zum Ereignis wird, sich als spontane malende Gebärde auf Leinwand entfaltet, respektive als Manifestation innerer Vorstellungen im Moment des Farbauftragens, im entscheidenden schöpferischen Augenblick, ereignet.


Annetta Grisard bedient sich nicht nur der Stilmittel der Moderne wie Collage, Grattage und Techniken des Action Painting. Ausdehnung und mediale Grenzüberschreitung des Bildträgers ermöglichten neue Formen des Ausdrucks, mit welchen sie mit faszinierender Neugier zu elaborieren begann. Materialien wie Wellblech, Fotografien und Plakate wurden seit einer Weile neu zum ‹Bildgrund› ihrer Werke. Durch Computerbearbeitung, respektive direkte Übermalung erfahren diese eine malerische Transformation, werden zusammen mit andern Materialien zu neuen Bedeutungsträgern. Die so entstandenen Werke sind stark vergrösserte Fotografien und Bildcollagen auf rostigem Blechgrund, gestisch übermalt, manche mit Licht unterlegt. Es sind Bildinstallationen, die auf Reisen durch ferne Länder und Kulturen gewonnene, nachhaltige Spuren hinterlassende Eindrücke transportieren und, in Gegenüberstellung und Konfrontation mit Werken aus der unmittelbaren Umgebung der Künstlerin inspiriert (Industriegelände), zu Metaphern für Ambivalenzen zwischen unterschiedlichen Lebenswelten und Weltkulturen mutieren – für Annetta Grisard eine konstante, sie herausfordernde Thematik.


Der facettenreichen, ambivalenten Thematik des «Feuers» hat denn auch Annetta Grisard ihre Ausstellung im Kunst Raum Riehen gewidmet, dessen Benutzung seit Menschenwerdung für die Entstehung menschlicher Kulturen und Zivilisationen einen der wichtigsten Schritte darstellte bzw. als Gefahr bergendes, Zerstörung, Tod und Unheil bringendes Element Mythen, Natur- und Weltreligionen nährte und aufgrund seiner reinigenden Wirkung auch zum Sinnbild für Katharsis, Unsterblichkeit, Wiedergeburt und Verjüngung wurde (Phönix).


Die Faszination für das schöpferische und zerstörerische, gar selbstzerstörerische flammende Element reicht von der archaischen Theophanie bis zu manchen medial zu erlebenden, aktuellen Inferni in TV, Film und Videogames. Dem Feuer als künstlerisches Motiv in der Malerei begegnet man bereits im 18. Jahrhundert. William Turner, Salvatore Dalí, René Magritte, André Masson, später Jackson Pollock, Barnett Newman oder Sandro Chia, um nur ein paar Künstler zu nennen, lieferten ‹brennende Bilder› – objektivierte Bildwerke bzw. kosmisch inspirierte, aktionistisch gemalte Phantasmagorien von brennenden Bildern. Annetta Grisards Auseinandersetzung mit Feuer und seiner zerstörerischen Wirkung bzw. mit der Faszination, die das Energie, Wärme und Licht spendende Element auf Menschen ausübt, äussert sich in vielfältigen Bildfindungen und Gestaltungen. Ein ausgebranntes Auto, einst Kultobjekt, wichtiges Kulturgut des 20. Jahrhunderts, Fortschritt und Mobilität verkörpernde Maschine, trägt in seinem mortifizierten Zustand Spuren des zerstörerischen Effektes des Feuers zur Schau, ist Autowrack und ‹objet trouvé› zugleich, ‹nature morte› und Memento mori, deutet auf Unfall und Tod, auf kriegerische bzw. aktuelle Geschehnisse.


Computerbearbeitete Fotografien dokumentieren anderswo lokale Ereignisse, eine Serie von unaufgeklärten Bränden im Wohnort der Künstlerin, brennende Gartenhäuser und kleine Holzhütten, Mulden und Holzlager, Autos und was man sonst beim Wühlen in Asche und Kohle fand – Relikte, die auf die Gefahr des Unberechenbaren hinweisen, vom Betrachter das Sehen erfordern bzw. ihn zum Fahnder und Voyeur werden lassen. Annetta Grisard reagiert auf Aktualität und Zeitgeschehen, am heftigsten vorallem, wenn die Natur gefährdet ist. Ölbohrturm-Katastrophen und ihre Folgen werden mit Hilfe digitaler Bilder auf Leinwand festgehalten und malerisch bearbeitet, während Videoprojektionen ein durch die Katastrophe entfachtes Feuer auf Wasser simulieren, ein Vorgehen, das das Prozessuale des flammenden Elementes hervorhebt und Wasserwogen in wogende Feuerfluten verwandelt.


Eine Verknüpfung von Industrie mit Feuer findet auch auf Bildern statt, die von der unmittelbaren Umgebung der Künstlerin inspiriert wurden, eine Industriewelt im Hafengelände inmitten von Silos- und Frachtcontainer-Landschaften, allgegenwärtige Zeichen für wirtschaftliche Prosperität, globale Logistik und Ökonomie, Abbild einer Gesellschaft, die schnell, flexibel, international funktioniert, ein Transit-Ort, welcher zugleich Anonymität und Melancholie ausstrahlt. Auf auf Leinwand aufgezogenen Fotografien festgehalten, von Annetta Grisard mit explosiven Farben übermalt, verwandeln sich Güterwagen mit Autoreifen und Transportbehältern, anonyme Containerburgen, Industrietürme und Feuerwehrschiffe in flammende Inferni, so als wollte sie die in den rostigen Behältern schlummernde Gefahr, die Fragwürdigkeit suspekter Wirtschaftsprinzipien in Frage stellen. Farben und fotografisch erzeugtes Feuer verschmelzen miteinander, Feuer scheint in die Farbmasse eingearbeitet zu sein. Lodernde Flammen verdrängen Landschaft, Formen und Architekturelemente, die Malerei versperrt die gebaute Landschaft. Die Fotografie hat nun beinahe keine Realität mehr, nur noch die Präsenz der leuchtenden Neon-Farben und der gestischen Farbstrukturen dominieren die vor Dynamik vibrierenden Bilder.


Das Urtümliche, Schöpferische, das dem Feuer anhaftet, flammendes Feuer als Licht und Wärme spendendes Element hat Annetta Grisard auf LED-Panels gebannt. Von magischer Wirkung, geheimnisvoll, rufen sie mythische, archaische Erinnerungen wach, emsige Betriebsamkeit in der Schmiede des Hephaistos, die mythologischen Taten des Feuerbringers und Lehrmeisters der Menschen, Prometheus. Eine auf festem Gewebe aufgezogene, digital bearbeitete Fotografie mit Panoramalandschaft, frühlingshaften Wiesen und überbordend blühenden Bäumen erinnert hingegen an Verjüngung und Wiedergeburt, an die sagenhaften Eigenschaften des unsterblichen Phönix. Feuer – künstlerisches Stimulantium seit Menschengedenken.

Pressetexte (Auswahl)
Textauszüge aus Zeitungen, anlässlich der
Ausstellung «Fire Sites – Burning Pictures»
im Kunst Raum Riehen, 2011

«Wie Annetta Grisard das Feuer packte»
von Raphael Suter
Basler Zeitung, 15.10.2011


Eine Kraft, die wärmt und zerstört
Und jetzt der Sprung in den renommierten Kunst Raum Riehen. Dort ist eine umfassende Werkschau von Annetta Grisard zu sehen. Thema ist die Faszination des Feuers. Die Ambivalenz dieser Materie hat sie in ihren Bann geschlagen. «Einerseits gehören die Erzeugung und Bewahrung des Feuers, die Nutzung seiner Wärme und seines Lichts zu den wichtigsten Schritten menschlicher Kulturen, andererseits jedoch ist das Feuer auch eine Kraft, die zerstört und sich schwer bändigen lässt», erklärt die Künstlerin in dem zur Ausstellung erschienenen Katalog. So sind Werke zu sehen, die eine feurige Kraft ausstrahlen, ohne dass sie bedrohlich wirken, und andere, die Katastrophen und Zerstörung erahnen lassen. Beispielsweise die Bilder von Ölbohrstationen. «Wir brauchen das Öl und trotzdem haben wir auch Probleme damit», sagt Annetta Grisard. Sie will sich mit solchen Konflikten sehr bewusst auseinandersetzen.


«Feurige Horrortrips»
von Nikolaus Cybinski
Basellandschaftliche Zeitung, 04.10.2011


Die Energie der Farben
Im 1. Obergeschoss verwischt sich die Gewaltspur zugunsten «reiner» Malerei, doch auch die kennzeichnet die wilde Entschlossenheit, die in den Farben steckende Energie sich austoben zu lassen. Da glücken ihr Bilder von suggestiver Kraft.


«Fire Sites – Feuer in all seinen Facetten»
von Rolf Spriessler-Brander
Riehener Zeitung, 30.09.2011


Eine Ausstellung als Gesamtkunstwerk
Sie wünsche der Ausstellung der Riehener Künstlerin Annetta Grisard ausserordentlich grossen Erfolg, sagte Gemeinderätin Maria Iselin-Löffler anlässlich der Vernissage vom vergangenen Freitag im «Kunst Raum Riehen» sichtlich gerührt. Eine Ausstellung müsse als Gesamtkunstwerk bestehen, und das sei hier der Fall. Mit grosser Energie habe Annetta Grisard während ihrer Arbeit für dieses Projekt montiert, demontiert, experimentiert, gelitten, gejubelt, expandiert, reduziert, dabei das Feuer auf verschiedene Art gezeigt und auf ganz sensible Weise auch das Feuer in ihrer Wohngemeinde mit einbezogen. Im Gartensaal hängen fünfzehn Fotografien von Brandstätten in Riehen, schlicht und sachlich und mit dem Focus auf das triste Resultat. Neben diesen Brandstätten ist im Gartensaal auch das mit moderner LED-Technik hinterleuchtete Foto des Schmiedefeuers des Riehener Betriebes Lemmenmeier zu sehen. Ein ästhetischer Höhepunkt, der die Arbeit, die Lebendigkeit und Leuchtkraft des Feuers am eindrücklichsten zur Geltung bringt.


«Ein ebenso zerstörerisches wie faszinierendes Element»
von Roswitha Frey
Badische Zeitung, 07.10.2011


Fire Sites – Burning Pictures
«Fire Sites – Burning Pictures» nennt Annetta Grisard ihre spektakuläre Ausstellung im Kunst Raum Riehen, in der sie sich dem Thema Feuer in seiner ganzen Ambivalenz widmet. Die Gefahr, die Katastrophe, die vom Feuer ausgehen kann, wird von Annetta Grisard eindringlich und nachdenkenswert vor Augen geführt. Auf der anderen Seite beschwört sie das Elementare, Mystisch-Magische des Feuers als Wärme- und Energiespender. Die Leuchtkraft der Farben, der Lichtschein, die Bewegung der Flammen kommen in einer Bilderreihe fulminant zur Wirkung.


«Warme Glut, explodierende Gewalt»
von Gabriele Hauger
Oberbadische Zeitung, 05.10.2011


Warme Glut, explodierende Gewalt
2007 trat die Riehenerin erstmals mit ihren großformatigen, gestischen Werken an die Öffentlichkeit und stieß mit ihren in Action-Painting-Manier gemalten Bildern, ihrer dynamisch-explosiven Bildschrift auf große Resonanz. Auch mit ihren meist aktuellen Arbeiten zieht sie den Besucher in ihren Bann. Da glänzt glühendes Rot, intensives Gelb züngelt, Schwarz bahnt sich seine Spuren durch die Arbeiten. Annetta Grisard führt weit ausholend den Pinsel, spritzt und wirft Farbe auf die Leinwand, arbeitet mit Spachtel, Schwamm und Bürsten, mit Hieben und Strichen zwischen Kalkül und Zufall. Dabei verwendet sie unterschiedlichste Materialien und gestaltet ganze Räume. Blech, Fotografien und Plakate werden als Bildgrund genutzt, am Computer bearbeitet und übermalt.